Interview im FORUM Magazin über die Solidarität und Kreativität des saarländischen Mittelstands in der Corona-Krise.

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Foto: Jennifer Weyland

 

„Digitaler denn je“

Gratis-Essen für Transportfahrer, direkt ins Wohnzimmer gestreamte Konzerte und digitale Tanzkurse für mehr Abwechslung während der Kontaktsperre: Anja Persch, Präsidentin des Marketingclubs Saar, zeigt sich beeindruckt davon, wie kreativ und solidarisch sich der saarländische Mittelstand während der Pandemie zeigt.


Frau Persch, als Präsidentin des Marketingclubs Saar vertreten sie rund 400 Mitglieder aus den unterschiedlichsten Bereichen der saarländischen Wirtschaft. Welche Branchen wurden von der Corona-Krise am härtesten getroffen?

Das ist schwer zu sagen, denn es betrifft uns fast alle. Ich denke aber, dass die Hotellerie und der gesamte Tourismusbereich sehr betroffen sind, die Gastronomie und die ganze Textil- und Modebranche. Dazu kommen Unternehmen, die viel mit Import und Export zu tun haben. Sie stehen aktuell vor ganz großen Herausforderungen.

Als Berufsverband für Marketing und Vertrieb haben wir natürlich auch viele Agenturen im Boot. Wenn wir jetzt beispielsweise Agenturen im Event- und Cateringbereich nehmen oder aus der Künstlervermittlung, ganz abgesehen von den Künstlern selbst, so ist diesen Mitgliedern schlicht und ergreifend die Existenz weggebrochen und das von jetzt auf gleich. Auch solche Themen wie Beratungsleistungen in Form von Workshops, Seminaren oder Trainings sind zurzeit physisch ja nicht möglich, und für viele ist das, wie auch für mich, der Kern unserer Tätigkeit. Das sage ich nicht nur als Unternehmerin, sondern auch als Präsidentin des Marketingclubs Saar. Auch wir können unsere Veranstaltungen nicht mehr wie gewohnt durchführen. Das stellt auch uns vor eine große Herausforderung. Insofern schürt eine solche Entwicklung natürlich Ängste, keine Frage. Gleichzeitig kann die Krise aber auch als Chance gesehen werden, um neue spannende Konzepte zu entwickeln und sich auszuprobieren. Das ist meiner Meinung nach der effektivere Ansatz, um mit der Corona-Krise umzugehen.


Können Sie ein paar dieser Beispiele nennen?

Ein solches Beispiel wären Petra und Oliver Bach, die Inhaber des Restaurants „Die Scheune" in Kirkel. Wie wir alle wissen, müssen die saarländischen Gastrobetriebe aufgrund der neuen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zunächst geschlossen bleiben. Auch die Familie Bach blieb dabei keine Ausnahme. Sie mussten ihr Restaurant vorübergehend schließen. Allerdings ließen sich diese beiden Unternehmer nicht von der Krise entmutigen, sondern entwickelten ein sehr spannendes und gleichzeitig auch solidarisches Konzept: Sie haben beispielsweise einen Imbisswagen vor ihrem Restaurant aufgemacht, um die Menschen trotz der neuen Verordnungen mit Mittagessen zu versorgen. Wenn Lkw- und Transportfahrer bei der „Scheune" vorbeikommen, erhalten sie ihr Essen samt einem Getränk sogar gratis. Als eine Art kleines Dankeschön für ihre Arbeit, vor allem in dieser schweren Zeit. Solche schönen Aktionen stärken natürlich das Wir-Gefühl und den Zusammenhalt unter den Menschen.

Ein anderes Beispiel für ein solch kreatives Konzept wäre die Tanzschule Bootz-Ohlmann. Dieses alteingesessene saarländische Traditionsunternehmen existiert seit über 111 Jahren und wird bereits in der vierten Generation familiengeführt. Trotzdem gab es für die Tanzschule nicht mal annähernd eine vergleichbare Situation, wie sie die Corona-Krise jetzt in dieser Zeit darstellt. Deswegen hat Geschäftsführer Ramon Gechnizdjani ein neues Konzept entwickelt und bietet seinen Mitgliedern seit Neuestem auch tänzerische Angebote unter anderem in solchen Bereichen wie Kindertanz oder Paartanz in digitaler Form an. Die ersten Video-Kurse gibt es bereits auf der Homepage der Tanzschule. Darüber hinaus plant das Bootz-Ohlmann-Team die Streichung der geplanten Betriebsferien im Sommer sowie Herbst dieses Jahres, um fehlenden Unterricht in allen Bereichen wieder aufzuholen. An diesem Beispiel sieht man auch, wie geschlossen ein Team in einer solchen Krisenzeit funktionieren kann – und das macht Mut.

Aber auch kleine Unternehmen oder Selbstständige zeigen sich besonders kreativ und werden zunehmend digitaler. So schließen sich beispielweise Musikbands zusammen – jeder schaltet sich von zu Hause aus zu – um gemeinsam ein kleines Konzert ins Wohnzimmer zu streamen. Damit erweitern sie nicht nur ihr Angebot, sondern bieten auch den Menschen, die ja zum größten Teil zu Hause bleiben müssen, etwas Abwechslung zum Alltag. Eine schöne, erfrischende Idee, die auch nach der Krise beibehalten beziehungsweise weiterentwickelt werden könnte, wie ich finde.


Also wird das Saarland zunehmend digitaler?

Absolut. Und zwar mehr denn je. Jetzt können wir auch einfach mal ausprobieren, denn niemand ist von heute auf morgen perfekt. Dafür haben jetzt alle Verständnis. Somit kann ich jedem Unternehmen nur raten, es einfach mal zu machen und sich digital neu oder besser aufzustellen. Auch, wenn man vielleicht annimmt, dass diese digitale Form noch nicht perfekt ist. Vielleicht ist es sogar besser, und das neue Konzept kommt dadurch noch sympathischer und authentischer rüber.


Welche wichtigsten Punkte würden Sie den Unternehmern mit auf den Weg geben, um sich online besser aufzustellen?

Man soll die Online-Kanäle definitiv nutzen, auch wenn man sich in der Vergangenheit demgegenüber nicht ganz so offen gezeigt hat. Wie fit ist beispielsweise die eigene Homepage? Eine Möglichkeit wäre auch mal, einen Link an die Kunden zu verschicken, um über diese Kanäle präsent zu bleiben. Hat man beispielweise einen Onlineshop, könnte man die Kunden auch direkt anschreiben und sie mit speziellen Angeboten auf dem Laufenden halten. Wichtig ist, sich weiter in den Köpfen der Kunden, auch potenzieller, präsent zu halten. Man kann auch gerne mit Links, E-Mails und Videobotschaften arbeiten, um die potenziellen Interessenten auf die eigene Internetseite zu locken. Auch Kooperationen mit anderen Unternehmen bieten gute Chancen. Das ist generell ein kluger Schachzug. Aber vor allem jetzt bieten sich solche Zusammenschlüsse besonders an. Es gab beispielweise eine Aktion auf Facebook für selbstständige Unternehmen, mit denen ich auch verlinkt bin. Wir boten uns gegenseitig die Möglichkeit, den eigenen Homepage-Link als Kommentar in den Facebook-Post des anderen zu posten. Das sehen natürlich viele Menschen, die wiederum auf die Seite aufmerksam werden. Damit kann man den Kontakt zum Kunden aufrechterhalten und vielleicht sogar neue Kunden akquirieren.

Interview: Julia Indenbaum

 

Quelle: Forum - Das Wochenmagazin (17.04.2020)